Gefühl der Sicherheit zurückgewinnen

Fachleute der Malteser leisten im Flutgebiet Erste Hilfe für die Seele
Fachleute der Malteser leisten im Flutgebiet Erste Hilfe für die Seele
Foto: FranFrank C. Waldschmidt (2.v.r.) ist Leiter Einsatznachsorge der Malteser und Fachberater Psychosoziale Notfallversorgung. k C. Waldschmidt (2.v.r.) berät den Kreis Euskirchen und koordiniert Hilfeersuchen.
Frank C. Waldschmidt (2.v.r.) ist Leiter Einsatznachsorge der Malteser und Fachberater Psychosoziale Notfallversorgung.

Nach der Flut kam die Welle der Hilfsbereitschaft – allein mit dem Katastrophenschutz kamen weit über 1.000 überwiegend ehrenamtliche Einsatzkräfte der Malteser in die Hochwasser-Gebiete in Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen, um Akuthilfe zu leisten. In den ersten Tagen standen an rund 50 Einsatzorten das Retten und Betreuen von Menschen sowie die Versorgung und medizinische Betreuung der Einsatzkräfte der Feuerwehr, des Technischen Hilfswerks und anderer Hilfsorganisationen im Vordergrund. Für die Malteser tritt mit der fortschreitenden Bewältigung der unmittelbaren Bedrohung durch die Unwetterlage die psychosoziale Hilfe für Betroffene, Angehörige und Einsatzkräfte in den Vordergrund. Im Kreis Euskirchen etwa haben die Malteser die Psychosoziale Notfallversorgung (PSNV-E) für Einsatzkräfte in Teilen übernommen und Fachkräfte aus dem Bundesgebiet zusammengezogen. In der Stadt Schleiden in der Eifel und im Kreis Euskirchen haben die Gebietskörperschaften die Malteser beauftragt, eine Versorgung der betroffenen Bevölkerung (PSNV-B) mit psychosozialer Unterstützung zu organisieren. 

Frank C. Waldschmidt ist Leiter Einsatznachsorge der Malteser und Fachberater PSNV-B in diesem Gebiet. Schon am ersten Tag der Flutkatastrophe war er in Schleiden als Fachberater des Krisenstabs im Einsatz, um beim Aufbau der psychosozialen Akutversorgung zu helfen. Mit zwei Malteser-Teams aus Aachen und Norderstedt ging es ins Katastrophengebiet, um bedürftigen Einsatzkräften Hilfe und der Bevölkerung anzubieten. Die Kriseninterventionshelfer besuchten dazu Feuerwachen und Rettungsdienst-Standorte. Nach einer Woche konnte die „Erste Hilfe für die Seele“ mit 40 zusätzlichen Kräften aus dem ganzen Bundesgebiet weiter ausgebaut werden. Diese „aufsuchende Tätigkeit“ wurde dort dankbar angenommen. „Wir haben in der ersten Woche 1.000 Gesprächskontakte mit Betroffenen und 25 Erstinterventionen mit Einsatzkräften durchgeführt, die an ihren Einsatzorten Traumatisches erlebt haben“, sagt Waldschmidt, der für seine aktuelle Aufgabe von seiner Tätigkeit als Dozent am Malteser-Bildungszentrum in Aachen freigestellt wurde. 

Einsatznachsorge ist mittel- bis langfristig angelegt

Die psychosoziale Notfallversorgung sei keine kurzfristige Maßnahme. Nach der psychosozialen Akuthilfe über Wochen, ist sie mittel- bis langfristig angelegt, betont der kriseninterventionserfahrene Malteser. „Gerade auch Trauerprozesse sind langwierig und brauchen ihre Zeit. Wir rechnen mit mindestens sechs Monaten, in denen Hilfe unterschiedlicher Art benötigt wird.“ Auch für die Betroffenen braucht es Zeit, um psychosoziale Hilfe annehmen zu können. In den ersten Wochen waren sie vor allem damit beschäftigt, die größten Schäden zu beseitigen, Keller leerzupumpen und ihre Wohnungen trockenzulegen. „Das lenkt erst mal ab, aber es kommt der Punkt, an dem auch die Verletzungen an der Seele Aufmerksamkeit benötigen“, sagt der Kriseninterventionsexperte.

Um alle, die diese Hilfe benötigen, auch zu erreichen und um Fachleute zu vernetzen, werden Beratungs- und Koordinierungsstellen, eingerichtet. Kontakt zu den Traumafachleuten und der Kassenärztlichen Vereinigung wurde hergestellt und Hotlines für Einsatzkräfte und Flutbetroffene wurden eingerichtet. In Euskirchen haben die Malteser einen Raum beim Gesundheitsamt bezogen, um ihrer Betreuungsaufgabe nachzukommen. Mit Vorträgen über die psychischen Traumata, die das Hochwasser auslöst, versuchen sie Hilfsbedürftige zu erreichen und ein Bewusstsein dafür zu schaffen, dass es neben der Bewältigung von körperlichen Blessuren und Sachschäden durch die Flut auch um die Rettung der verwundeten Seelen der Betroffenen geht. 

Eine Oase der psychosozialen Hilfe mitten im Katastrophengebiet

Mitten in einem besonders schwer geschädigten Gebiet in Gemünd, wo die öffentliche Infrastruktur weitgehend zerstört wurde, haben die Helfer um Waldschmidt die Absicht, in einem für diesen Zweck angemieteten Wohnhaus in einigen Wochen einzurichten. Das Haus ist eine Art Oase der psychosozialen Hilfe, in der es von der Erstintervention für Traumatisierte über allgemeine Sozialarbeit bis hin zur Trauerbegleitung alle Angebote gibt, die jetzt dringend benötigt werden. Waldschmidt sagt: „Es ist wichtig, direkt vor Ort und bei den Menschen zu sein, die von der Flut hart getroffen wurden, denn sie haben keine Möglichkeit, sich anderswo Hilfe zu suchen. Dieser Ort soll für sie ein Brückenkopf sein. Wir sind da und jederzeit ansprechbar.“ Die Erfahrungen zum Beispiel aus den Hochwassern an der Elbe hätten gezeigt, dass es besser ist, wenn Betroffene sich an die Helfenden wenden und nicht umgekehrt. Niederschwellig zu helfen, Herz und Seele vom Druck der Ereignisse zu entlasten – das ist jetzt unsere Aufgabe“, sagt Waldschmidt. Vor Ort hören die Krisenhelfer viele traurige Geschichten von Menschen, die Tod und Zerstörung mit ansehen mussten, die Angehörige, Freunde und persönliches Hab und Gut verloren, oder die sich hilf- und machtlos im Angesicht der Naturgewalten und ihrer Folgen fühlten.

Mit Unterstützung der Stiftung Katastrophen-Nachsorge werden in vier Kommunen Betroffenengruppen gebildet, die bei der gemeinschaftlichen Verarbeitung des Erlebten helfen. „Menschen mit schwersten Erfahrungen finden sich hier in den nächsten Wochen und Monaten zu Schicksalsgemeinschaften zusammen, die einander stützen und bei der Bewältigung des Erlebten helfen“, erzählt Waldschmidt. „Wir helfen den Menschen, die Schwere der Situation zu begreifen und anzunehmen. Wut und Hilflosigkeit darauf sind völlig normale Reaktionen, die man nicht unterdrücken sollte, um sie zu verarbeiten. Viele entwickeln aus der Not heraus schier übermenschliche Kräfte, mit denen sie sich dann an den Wiederaufbau machen und über sich hinauswachsen.“

Im Blick haben die Malteser auch so genannte „Sekundärbetroffene“, also etwa Nachbarn, deren Häuser nicht überschwemmt wurden. Waldschmidt sagt: „Bei diesen Personen erleben wir oft das Phänomen der ‚Überlebensschuld‘. Sie machen sich Vorwürfe, weil ihnen nichts zugestoßen ist. Viele fragen sich: Darf ich jetzt einfach so weiterleben? In Urlaub fahren? Meinen Geburtstag feiern? Ja, das dürfen sie, und wir helfen ihnen dabei, sich selbst die Erlaubnis dazu zu geben.“

Die Katastrophe wird im kollektiven Bewusstsein bleiben

Die Malteser wollen ihre Angebote ausweiten und als besondere Zielgruppe beispielsweise die Kinder und Jugendlichen in den Blick nehmen. Dazu soll es etwa Informationsveranstaltung für betroffene Eltern geben, in denen sie erfahren, wie junge Menschen Katastrophen erleben und wie man ihnen bei der Verarbeitung helfen kann. „Im ersten Schritt geht es bei allen Menschen darum, durch Information ein Gefühl der Sicherheit zurückzugewinnen“, erklärt Waldschmidt.

Wie geht es nach der Flut weiter? Für Frank Waldschmidt steht fest, dass die Katastrophe der Gesellschaft vor Augen geführt hat, wie verletzlich sie ist. „Die Krise war plötzlich so nah. Bilder, die man sonst nur aus dem Fernsehen kennt, spielen sich plötzlich vor der eigenen Haustür ab. Das verunsichert zutiefst.“ Gleichzeitig sei die Hilfsbereitschaft bemerkenswert: „Die Menschen rücken in Krisenzeiten spürbar enger zusammen und erleben, was sie gemeinsam bewirken können. Das ist eine Erfahrung, die lange über die Katastrophe hinaus das kollektive Bewusstsein prägen wird.“

Zur Person: Frank Waldschmidt (Jahrgang 1962) ist Dozent und Fachlehrer in der Notfallsanitäterausbildung am Malteser Bildungszentrum Euregio. Der Fachtrainer für Psychosoziale Notfallversorgung (PSNV), Krisenintervention und Einsatznachsorge (CISM) ist seit vielen Jahren im Bereich Krisen- und Bedrohungsmanagement tätig und berät Einrichtungen und Organisationen des Bildungs-, Erziehungs-, und Gesundheitswesens. Sein Spezialgebiet ist unter anderem die Begleitung von Einzelpersonen und Gruppen vor, während und nach Extremsituationen, sowie die Ausbildung und Supervision von Fachkräften für Krisenintervention in Deutschland, Österreich und der Schweiz. Er ist Mitbegründer der Notfallseelsorge Solingen, und war hier als Fachberater bei der Berufsfeuerwehr, sowie bei der Berufsfeuerwehr Hannover tätig. Bei Großschadenslagen in Eschede, Brühl, Erfurt, Winnenden, Dresden und Duisburg sammelte er umfangreiche operative Erfahrungen. Er gilt als renommierter Experte und ist Autor und Mitautor von Fachartikeln und Fachliteratur wie aktuell:“ Krisen- und Bedrohungsmanagement in Organisationen und Institutionen“.
 


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